Ihr könnt hier alles tun, kotzen, squirten, schreien, aber niemand verlässt den Raum. Und keiner hört auf sich zu bewegen!

Ich stehe barfuss auf dem grau silbrigen Linoleum Fussboden und bekomme es mit der Angst zu tun. Ich wurde zwar von einer Bekannten vorgewarnt, aber DIESE Ansage, stellt mir dann doch alle Nackenhaare, Armhaare oder sonst was für Haare nicht nur AUF sondern sie stehen mir auch zu Berge.

Ich stelle mir auch die Frage, was ich, wenn ich nur diese Wahl hätte, von beidem hier vor allen lieber tun würde. Und entscheide mich, haha, quasi aus dem Bauch heraus, für Ersteres.

Während alle Menschen, die ich kenne ihre Twerking Beiträge auf Social Media stets mit nackten Popos promoten, ist mein Titelbild daher ein gelber (Kotze-)Eimer. Seltsam und gleichzeitig so viel passender, wie ich finde.

Denn ich und wir alle sind heute hier angetreten um unseren Traumata den Kampf anzusagen. Nun soll man ja bekanntlich nicht gegen sich oder Anteile oder Schatten ankämpfen „What you resist, persist.“ und so.

Einleitende Sätze wie „Niemand verlässt den Raum. Und keiner hört auf sich zu bewegen!“ erscheinen mir zunächst nicht sehr traumasensibel, obwohl Maïmouna sich das auf die Fahnen geschrieben hat. Sie glaubt – und hat selbst auch diese Erfahrung gemacht – dass man mit Twerking jedes Trauma heilen kann. Und Traumas – davon hat(te) sie viele. Sogar eine eigene Solo Show hat sie ihrer Lebensgeschichte, ihrer Biografie gewidmet. In der sie von all den Misshandlungen, Missbrauchserfahrungen und Co. erzählt.

Also denke ich, wenn SIE es geschafft hat mit Twerking die Traumata buchstäblich „abzuschütteln“ – was sie kann, schaffe ich auch.“ und mache mich bereit. Bewaffnet mit Knieschonern, Wasser, Schweißband und Handtuch.

Leider darf nichts davon im Raum verbleiben, „wegen der Ahnen“ und dem „heiligen Raum“ den wir zusammen kreieren. Du darfst nur das mit in den Trainingsraum nehmen, was Du am Körper trägst.

Ich mag ihren Ansatz: “ You don’t have to believe it, just respect the people that do.“

Gleich mit der ersten Übung setzt Maïmouna Maßstäbe. Noch vor der Vorstellungsrunde und dem Beginn des Twerkens, dürfen wir den „Walk of Fame“ entlang-twerken. Was im Klartext bedeutet: unter motivierenden Jubelrufen, aber eben auch unter 25 Augenpaaren, dürfen wir, egal ob noch nie getwerkt oder schon Expert_in seit Jahren mal eben zur Musik eine Strecke von A nach B zurücklegen und allen unseren blanken Popo präsentieren. Kopf runter, hoch den Popo und schütteln was das Zeug hält, Yeah zeig uns Deinen Powermove, oder Handstand oder Twerken an der Wand, die eine schlägt sogar ein Rad. Okay, ich werde immer kleiner und versuche total unauffällig alle in der Reihe vor zu lassen. Ich entdecke dabei, dass ich natürlich nicht die einzige bin, die diesen raffinierten Plan verfolgt und so komme ich natürlich am Ende doch dran. Hierbei darf man nicht vergessen, für einen Neuling (der ich Gott sei dank nicht mehr ganz war) bedeutet das konkret: Du hast noch NIE ge-twerkt, hast keine Ahnung was Du tust, dein Arsch tut erst recht nicht, was Du von ihm erwartest, nämlich shaken- und ALLE starren Dich an.

Die Strecke von A nach B ist vielleicht maximal – was mag das sein- 5 Meter? lang. Also eigentlich nichts, das legst Du sonst in Sekunden zurück, aber auf allen Vieren sieht das schon mal anders aus. Vor allem, wenn man sich vorkommt wie eine gestrandete Seerobbe oder eine bedrohte Tierart, die mal bitte jemand retten soll.

Ich konnte sehen, dass ich nicht die Einzige von den Neuen war, die hier mit einer Grenze gechallenged waren und eigentlich lieber die Flucht ergreifen wollten. Ich denke an „Wachstum geschieht zwar nicht in der Komfortzone, aber eben auch nicht in der totalen Überforderung.“ wie Nina von Soma Safe Space immer betont.

Ich feiere Selbstausdruck. Ich feiere Authentizität. Das mit dem forcierten Rumgeschreie in vielen Workshops these days ist jedoch so eine Sache, der ich eher kritisch gegenüberstehe. Zum einen, weil ich mit der Idee von Containment ein wenig vertraut bin. Zum anderen, weil ich, wenn ich mich in einem spezifischen Moment nun mal gerade zutiefst zufrieden fühle und nur weil es eine Übung von mir „verlangt“ mit 25 Leuten rumschreien muss, eher verlogen und unauthentisch fühle als befreit und stark. To put on a performance oder so.

Warum soll ich künstlich was hochholen, nur um die Dozentin zufriedenzustellen? Damit SIE den Eindruck hat, „wow da haben alle ja voll den Release gehabt“?

Ich vermute Maïmouna pushte mich die Übung mitzumachen, weil sie glaubte Scham sei was mich daran hinderte voll in die Übung und das Schreien reinzugehen. Tatsächlich war es an diesem Tag, in diesem speziellen Moment eher Self-care und Self-love und nicht Scham, die mich abhielt.

2 Stunden später

Ich fühle mich sweaty, aber tiefenentpsannt was auch an dem See liegen kann, in den ich 21.30 Uhr – kurz vor Sonnenuntergang – noch fix gesprungen bin. Der Körper völlig hitzig- glühend – wabbernd – heiß nach der BOOTY THEAPY TWERKING Class.

Und noch ein anderer Aspekt kommt mir in den Sinn: Diese seltsame „Angst“ des „modernen Menschen“ vorm Schwitzen, vor Überforderung, vorm Sich-Verausgaben. Diese „Angst“ mal 90m Minuten keine Option auf Pausen, WC und Wasser trinken zu haben. Das ist gewissermaßen schon echt spannend. Denn natürlich ist das zumeist ohne Probleme machbar. Und es erinnert mich an einen meiner Yoga-lehrer, der auch immer wieder fassungslos den Kopf darüber schüttelt, dass seine Schüler gefühlt nach jeder eingenommenen Asana zu ihrer Wasserflasche rennen. „Der moderne Mensch sich nicht mal 90 Minuten fokussiert und ohne Ablenkung und Comfort auf eine Aufgabe konzentrieren kann“, wie er sagte.

Viele / wir / ich? sind so tod und taub vor lauter Comfort und Couch. Wir bezahlen für Dinge, die eigentlich unserer Natur entsprechen und Teil unseres Alltags sein sollten: Wie lieben, kuscheln, leben.

Aber auch für physische, körperliche Anstrengung und Betätigung bezahlen wir. In Form von Spinning Klassen… Die Anstrengung, die physische Verausgabung suchen wir urbanen Menschen in Classes.

Wir töpfern nicht mehr, weil wir diese Gefäße für unseren Alltag brauchen sondern zum Entertainment zur reinen Unterhaltung. Als Partygag mit Freunden.

Der moderne Mensch will seine Freizeit „füllen“, dabei füllt ein ursprüngliches Leben in Einklang mit der und deiner Natur eigentlich Dich.

Das ist noch so ein Punkt: Wir / ich / du? wollen uns gefüllt fühlen statt leer. Emptiness macht uns Angst.

Lieber shallow als empty.

Ich hätte gestern gerne alles ausgekotzt, denn in dem Whirling Workshop vor zwei Jahren habe ich die Chance leider versäumt. Auch die Dozentin Lisa sprach damals von der Option Trauma gewissermaßen auskotzen zu können. Damals hätte ich sogar einen Eimer gehabt und den sogar in meiner Lieblingsfarbe. (Gelb, wohl passend zu der Farbe des Erbrocheneem.)

Als Maïmouna jedoch meinte, wir sollen jede Flüssigkeit, die unseren Körper beim Twerken verlässt, direkt vor uns auf dem Boden lassen und es dann NACH der Klasse säubern- das ging mir dann doch einen Schritt zu weit. Sorry not sorry, aber da konnte ich einfach nicht entspannt „loslassen“ und „alles auskotzen“. Denn ja, ja es gab sie- diese eine Übung, bei der mir wirklich zum K*** war.

I mean what the fuck. Also neeee! Das will ich weder mir, noch den 25 anderen Teilnehmer_innen antun.

Es gibt die Redewendung „auf den Gräbern tanzen“, aber von „in Deiner Kotze twerken“, habe ich in der Weltliteratur noch nie gehört.

Für mich war es ein hart an meiner Grenze entlangschaben, aber noch machbar, wenn auch zunächst sehr, sehr unangenehm. Beim nächsten Mal und das fühle und weiß ich aber auch, wird es mir schon viel mehr Freude bereiten und statt Angst, Scham oder Enge- wenn ich dem mit Freude und Verspieltheit begegne, Neugier und einfach Spaß , selbst am „eventuell total daneben aussehen und sein“, dann wird aus PAIN PLEASURE. That’s what I can tell from experience. Und so weiß ich auch, dass ich nicht gleich nächste Woche wiederkommen kann und werde, sondern erstmal meine „normalen“ Twerking Classen wieder besuchen. Die in denen ich Trinken darf wann ich will, mich entspannen und lachen kann, prokrastinieren kann und wenn mir danach ist, sogar auf Toilette gehen. Die, in denen ich nicht entscheiden muss, ob ich mutig genug bin, mich vor allen zu Übergeben und dann darin zu stehen.

Und DOCH. Ich weiß, ich komme wieder. Die nächste Klasse ist schon geplant. Aber drei, vier Wochen gebe ich mir Zeit. Und dann, wer weiß… maybe baby. Maybe not. Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Eventuell mit oder ohne Eimer.

Oder in purer Anarchie und Selbstbestimmung: Einfach auf Klo.