Ihr könnt hier alles tun, kotzen, squirten, schreien, aber niemand verlässt den Raum. Und keiner hört auf sich zu bewegen!
BOOTY THEAPY TWERKING Class
Berlin, August 25
Ich stehe barfuss auf dem grau silbrigen Linoleum Fussboden und bekomme es mit der Angst zu tun. Ich wurde zwar von einer Bekannten vorgewarnt, aber DIESE Ansage, stellt mir dann doch alle Nackenhaare, Armhaare oder sonst was für Haare nicht nur AUF sondern sie stehen mir auch zu Berge.
Ich stelle mir auch die Frage, was ich, wenn ich tatsächlich nur diese Auswahl hätte – Kotzen oder Squirten- vor all den Menschen hier lieber tun würde. Und entscheide mich, haha, quasi aus dem Bauch heraus, für Ersteres.
Während die meisten ihre Twerking Beiträge auf Social Media stets mit nackten Popos promoten, ist mein Titelbild daher ein gelber (Kotze-)Eimer. Seltsam und gleichzeitig so viel passender, wie ich finde.
Denn ich und wir alle sind heute hier angetreten um unseren Traumata den Kampf anzusagen. Nun soll man ja bekanntlich nicht gegen sich oder Anteile von sich ankämpfen: „What you resist, persist.“ und so.
Einleitende Sätze wie: „Niemand verlässt den Raum. Und keiner hört auf sich zu bewegen!“ erscheinen mir zunächst nicht sehr trauma-sensibel, obwohl sich Maïmouna, die Gründerin und Kursleiterin, genau das auf die Fahnen geschrieben hat.
Sie glaubt – und hat selbst auch diese Erfahrung gemacht – dass man mit Twerking jedes Trauma heilen kann. Und Traumas – davon hat(te) sie viele. Sogar eine eigene Solo Show hat sie ihrer Lebensgeschichte, ihrer Biografie gewidmet. In der sie von all den Misshandlungen, Missbrauchserfahrungen und Co. erzählt.
Also denke ich, wenn SIE es geschafft hat mit Twerking die Traumata buchstäblich „abzuschütteln“, kann ich das auch und mache mich bereit. Bewaffnet mit Knieschonern, Wasser, Schweißband und Handtuch.
Leider darf nichts davon im Trainingsraum verbleiben, „wegen der Ahnen“ und dem „heiligen Raum“ den wir zusammen kreieren. Du darfst nur das mit in die Klasse nehmen, was Du am Körper trägst. Einige Teilnehmer_innen blinzeln skeptisch und ich mag Maïmounas Umgang damit, als sie sagt: “ You don’t have to believe it, just respect the people that DO.“
Gleich mit der ersten Übung setzt Maïmouna Maßstäbe. Noch vor der Vorstellungsrunde und dem Beginn des Twerkens, dürfen wir den „Walk of Fame“ entlang-twerken. Für mich eher ein Walk of Shame. Denn im Klartext bedeutet die Übung: unter motivierenden Jubelrufen, aber eben auch unter 25 Augenpaaren, dürfen wir, egal ob noch nie getwerkt oder schon Expert_in mal eben zur Musik eine Strecke von A nach B zurücklegen und dabei allen unseren blanken Popo präsentieren.
Kopf runter, hoch den Popo und schütteln was das Zeug hält, Yeah zeig uns Deinen Powermove, Handstand oder Twerken an der Wand, die eine Person schlägt sogar ein Rad während ich in Panik eher die Hände vor die Augen schlage: Okay, klar ein Rad schlagen und twerken. Klaro. Mach ich doch mit links und vierzig Fieber! Nichts leichter als das. Cool auch, dass alle dabei zusehen.
Ich werde immer kleiner und versuche total unauffällig alle in der Reihe vor zu lassen. Ich entdecke dabei, dass ich natürlich nicht die einzige bin, die diesen raffinierten Plan verfolgt und so komme ich natürlich am Ende doch dran.
Hierbei darf man nicht vergessen, für einen Neuling bedeutet diese INTRO Übung konkret: Du hast noch NIE ge-twerkt, hast keine Ahnung was Du tust, dein Popo tut erst recht nicht, was Du von ihm erwartest, nämlich shaken- und ALLE starren Dich dabei an. Natürlich unter lauten Jubelrufen, die Dich motivieren sollen. Empowerment. You know the drill.
Die Strecke von A nach B ist vielleicht maximal – was mag das sein- 5 Meter? lang. Also eigentlich wirklich kurz, diese Strecke legst Du sonst in Sekunden zurück. aber (!) auf allen Vieren sieht das schon mal anders aus. Vor allem, wenn man sich vorkommt wie eine auf dem Linoleumboden gestrandete Seerobbe oder bedrohte Tierart, die mal bitte jemand retten soll.
Ich konnte sehen, dass ich nicht die Einzige von den Neuen war, die hier mit einer Grenze gechallenged waren und eigentlich lieber die Flucht ergreifen wollten. Ich denke an den Satz: „Wachstum geschieht nicht in der Komfortzone, aber eben auch nicht in der totalen Überforderung.“ den Nina von Soma Safe Space immer betont und frage mich in welcher Zone ich mich hier wohl gerade befinde.
Es gibt eine weitere Übung, die es sehr gut meint, aber vielleicht nicht für alle (inklusive mir) und immer (heute) so geeignet ist: Am Ende der Klasse ist es ein Ritual bei Maïmouna dass alle einen engen Kreis bilden und „alles herausschreien.“
Versteht mich nicht falsch: Ich feiere Selbstausdruck. Ich feiere Authentizität. Doch das mit dem forcierten Rumgeschreie ist für mich so eine Sache. Zum einen, weil ich mit der Idee von Containment ein wenig vertraut bin. Zum anderen, weil ich, wenn ich mich in einem spezifischen Moment nun mal gerade zutiefst zufrieden fühle, nur weil es eine Übung von mir „verlangt“ mit 25 Leuten rumzuschreien, eher verlogen und unauthentisch fühle als befreit und stark. To put on a performance oder so.
Warum soll ich künstlich was hochholen, nur um die Dozentin zufriedenzustellen? Damit SIE den Eindruck hat, „wow da haben alle ja voll den Release gehabt“?
Ich vermute Maïmouna pushte mich die Übung mitzumachen, weil sie glaubte Scham sei was mich daran hinderte voll in die Übung und das Schreien reinzugehen. Tatsächlich war es an diesem Tag, in diesem speziellen Moment eher Self-care und Self-love und nicht Scham, die mich abhielt.
2 Stunden später
Ich fühle mich sweaty, aber tiefenentpsannt was auch an dem See liegen kann, in den ich 21.30 Uhr – kurz vor Sonnenuntergang – noch fix gesprungen bin. Der Körper völlig hitzig- glühend – wabbernd – heiß nach der BOOTY THEAPY TWERKING Class.
Ich spüre die Effekte der Class nochmal nach und noch ein anderer Aspekt kommt mir plötzlich in den Sinn als ich über Maïmouna Ansatz nachdenke, den Raum nicht verlassen zu dürfen und die gesamte Klasse über keinen Zugang zu Toilette oder Wasser zu haben. Und über die Unruhe, die diese Ansage in mir auslöste, obwohl es sich um eine 90minütige Klasse handelt und nicht zwei Wochen Heilfasten oder 10 Tage Dunkelreterat ohne Nahrung.
Diese seltsame „Angst“ des „modernen Menschen“ vorm Schwitzen, vor Überforderung, vorm Sich-Verausgaben. Diese „Angst“ mal 90 Minuten keine Option auf Pausen, WC und Wasser trinken zu haben.
Das ist gewissermaßen schon echt spannend. Denn natürlich ist das für einen gesunden menschlichen Organismus zumeist ohne Probleme machbar und dennoch löst es psychomental etwas aus. Und es erinnert mich an einen meiner Yoga-lehrer, der immer wieder fassungslos den Kopf darüber schüttelte, dass seine Schüler nach jeder eingenommenen Asana zu ihrer Wasserflasche rennen. „dass der moderne Mensch sich nicht mal 90 Minuten fokussiert und ohne Ablenkung und Comfort auf eine Aufgabe konzentrieren kann“, wie er sagte.
Der moderne Mensch sei so tod und taub vor lauter Comfort und Couch.
Wir bezahlen für Dinge, die eigentlich unserer Natur entsprechen und Teil unseres Alltags sein sollten: Wie lieben, kuscheln, leben. Auch für physische, körperliche Anstrengung und Betätigung bezahlen wir. In Form von Spinning Klassen… Die Anstrengung, die physische Verausgabung suchen wir urbanen Menschen in Classes.
Wir töpfern nicht mehr, weil wir diese Gefäße für unseren Alltag brauchen sondern zum Entertainment, zur reinen Unterhaltung. Als Partygag mit Freunden.
Der moderne Mensch will seine (Frei)-Zeit „füllen“, dabei füllt ein ursprüngliches Leben in Einklang mit der Natur eigentlich Dich.
Das bringt mich, immernoch am See sitzend und sinnierend, zu einem weiteren Punkt: Wir / ich / du? wollen uns gefüllt fühlen statt leer. Emptiness macht uns Angst.
Lieber sind wir shallow als empty.
Ich kam vorhin in der Twerking Class tatsächlich bei einer Übung an einen Punkt und hätte gerne alles ausgekotzt. An so einem Punkt war ich schon einmal in einem Whirling Workshop vor zwei Jahren. Dort habe ich die Chance leider versäumt. Auch die Dozentin Lisa sprach damals von der Option Trauma gewissermaßen auskotzen zu können. Damals hätte ich sogar einen Eimer gehabt und den sogar in meiner Lieblingsfarbe. (Gelb, wohl passend zu der Farbe des Erbrochenem.)
Als Maïmouna jedoch meinte, wir sollen jede Flüssigkeit, die unseren Körper beim Twerken verlässt, auf dem Boden lassen und es dann NACH der Klasse säubern- das ging mir dann doch einen Schritt zu weit. Sorry not sorry, aber da konnte ich einfach nicht entspannt „loslassen“ und „alles auskotzen“.
I mean what the fuck. Also neeee! Das will ich weder mir, noch den 25 anderen Teilnehmer_innen antun.
Es gibt die Redewendung „auf den Gräbern tanzen“, aber von „in Deiner Kotze twerken“, habe ich in der Weltliteratur noch nie gehört.
Für mich war es heute im Kurs ein hart an meiner Grenze entlangschaben, noch machbar, wenn auch zunächst sehr, sehr unangenehm. Beim nächsten Mal, das fühle und weiß ich, wird es mir schon viel mehr Freude bereiten statt wie heute Angst, Scham oder Enge.
Wenn ich dem mit Freude, Verspieltheit begegne, Neugier und einfach Spaß. Spass selbst am „eventuell total daneben aussehen und in dem Moment vielleicht auch daneben sein“, dann wird aus PAIN PLEASURE.
That’s what I can tell from experience.
Und so weiß ich auch, dass ich nicht gleich nächste Woche wiederkommen kann oder werde, sondern erstmal meine „normalen“ Twerking Klassen bei Emelie und Greta weiter besuchen werde.
Die in denen ich Trinken darf wann ich will, mich entspannen und lachen kann, prokrastinieren kann und – wenn mir danach ist, sogar auf Toilette gehen.
Die, in denen ich nicht entscheiden muss, ob ich mutig genug bin, mich vor allen zu Übergeben und dann darin zu tanzen.
Und DOCH. Ich weiß, ich komme wieder. Die nächste Klasse ist schon geplant. Aber drei, vier Wochen gebe ich mir Zeit.
Und dann, wer weiß…
maybe baby. Maybe not.
Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Eventuell mit oder ohne Eimer.
Oder in purer Anarchie und Selbstbestimmung: Einfach auf Klo.


